Einzelne Projekte, die darauf abzielen, die Bedürfnisse der Bürger besser zu verstehen und sie an der Lösungsfindung zu beteiligen, sind ein Anfang. Letztendlich müssen die Städte jedoch umfassendere Ziele definieren und Plattformen bereitstellen, über die die Bürger ihre Stadt mitgestalten können.
In der Privatwirtschaft schaffen Unternehmen offene Plattformen für ihre Kunden, sodass diese direkt zum Design, zur Produktion oder zur Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen beitragen können – oder sich lediglich damit einverstanden erklären, dass die Unternehmen ihre Daten nutzen, um Produkte und Dienstleistungen für sie zu entwickeln und bereitzustellen. Das Geschäftsmodell für Plattformen erzeugt Mehrwert, indem es den Austausch zwischen zwei oder mehreren Gruppen, normalerweise Hersteller und Verbraucher, unterstützt. Die Plattform bietet eine Struktur, Standards und Protokolle, die ein Netzwerk dieser Interaktionen in großem Maßstab ermöglichen. Im Fitnessbereich stellen beispielsweise Unternehmen Plattformen für die Entwicklung von Apps bereit. Sie ermöglichen es den Nutzern, sich durch Daten wie persönliche Bestzeiten, von der Crowd empfohlene Strecken und „Top of the Heap“-Wettbewerbe verbunden zu fühlen. In einigen Fällen schließen sich Kunden zusammen und werden selbst aktiv, gründen beispielsweise digitale Communitys, um Lösungen anzubieten.
Für Städte stellen sich die Befürworter Netzwerke vor, über die Bürger, Unternehmen, Forscher an Hochschulen und andere Stakeholder gemeinsam an der Lösung städtischer Probleme arbeiten können. TM Forum, eine Arbeitsgemeinschaft für Telekommunikationsunternehmen, beschreibt das Konzept in seinem City-as-a-Platform-Manifest (Die Stadt als Plattform) als einen „gemeinsamen Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen Einwohnern, öffentlicher Verwaltung und Privatwirtschaft, um das gewünschte Ergebnis von Nachhaltigkeit, Inklusion und gezielter Innovation zum Vorteil der Städte und ihrer Einwohner voranzutreiben.“ Durch die Anpassung der Prinzipien kommerzieller Plattformen an das urbane Umfeld können Städte zu Innovationszentren werden, in denen Ideen zur Bewältigung der Herausforderungen des Lebens in der Stadt und zur Verbesserung der Lebensqualität entstehen.
Tampere in Finnland erstellt beispielsweise Plattformen für ausgewählte Themen (aktuell Gesundheit und Wohlbefinden, Kundendienst, Sicherheit und Gefahrenabwehr sowie intelligente Mobilität), um eine Grundlage für Unternehmen, Hochschulen und andere Stakeholder zu schaffen, auf der sie mit digitalen Lösungen für die Stadt und ihre Einwohner experimentieren können. Die Plattformen verfolgen verschiedene in der Privatwirtschaft übliche Ansätze für die gemeinsame Entwicklung, darunter agile Entwicklung und agiles Projektmanagement, Hackathons und einen offenen Innovationsansatz, der es Unternehmen, Forschern an Hochschulen und der Stadtverwaltung ermöglicht, gemeinsam ein IoT-Modell für die Zukunft zu definieren (siehe „Die Straßen von Chicago als Innovationszentren“).
Eine der Plattformen stellt ein digitales, auf offenen Daten basierendes 3-D-Modell von Tampere zur Verfügung, auf das Unternehmen und Einwohner zugreifen können. Es dient der Visualisierung von Stadtentwicklungen, wie z. B. der neuen Straßenbahnlinie oder eines geplanten Stadtviertels am Seeufer Hiedanranta. „Jeder Nutzer kann sich die Entwicklungen anschauen, die für seine eigene Nachbarschaft oder seinen Arbeitsplatz relevant sind“, erklärt ein Mitarbeiter der Stadt. „Das erleichtert es den Bürgern, sich in die Stadtplanung einzubringen.“ Tampere hat auch eine (in sein Straßenbeleuchtungsnetz integrierte) IoT-Plattform geschaffen, die mit anderen Sensoren oder Anwendungen verknüpft werden kann und es Unternehmen und Forschern erleichtert, neue Projekte oder Produkte zu testen.
Die Straßen von Chicago als Innovationszentren
Mit dem City-as-a-Platform-Ansatz kann man eine beliebige Anzahl von städtischen Problemen verstärkt bürgerorientiert angehen. „Es gibt nicht viele Orte, die sich dafür eignen, neue und potenziell verrückte Ideen für die Infrastruktur der Stadt auszuprobieren“, sagt Charlie Catlett, Senior Computer Scientist am Argonne National Laboratory des US-amerikanischen Energieministeriums und Senior Fellow am Mansueto Institute for Urban Innovation der Universität von Chicago. „Als wir uns mit der Stadtverwaltung über die Herausforderungen, mit denen die Stadt konfrontiert ist, ausgetauscht haben, wurde uns klar, dass eine flexible, programmierbare Messfunktion eine entscheidende Rolle spielen würde.“
Lernen Sie das Array of Things (AoT) von Chicago kennen. Einige bezeichnen das von Catlett geleitete Projekt als Fitnesstracker für die Stadt. Sensoren sammeln Daten zu Licht, Luft, Oberflächentemperatur, Vibrationen, Luftdruck, Schallintensität und – unter Verwendung der von den Sensoren verwendeten KI – zum Fußgänger- und Fahrzeugverkehr. Das Netzwerk soll nicht nur der Stadt dabei helfen, ihre Stadtplanungs- und Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen, sondern auch die Lebensqualität für Einwohner und Gemeinden verbessern.
„Wenn das Projekt in fünf Jahren erfolgreich ist, werden diese Daten und die Anwendungen und Instrumente, die aus diesem Projekt entstehen, ein fester Bestandteil im Leben der Einwohner sein. Es wird die Art und Weise beeinflussen, wie die Stadt neue Services und Richtlinien schafft“, erklärt die ehemalige CIO von Chicago, Brenna Berman, als die ersten Knotenpunkte (wie die Sensoreinheiten genannt werden) im Jahr 2016 in Betrieb genommen wurden. „Das Ganze wird als Teil der Versorgungsinfrastruktur betrachtet werden – so wie Straßenbeleuchtung und Busse. Sie helfen uns und erleichtern uns das Leben in der Stadt.“
Im AoT-Team zeigt sich das Potenzial für eine umfassende Zusammenarbeit. Forscher des Argonne National Laboratory und der Universität von Chicago entwickeln zusammen mit Partnern aus anderen Hochschulen auf der ganzen Welt die Waggle Platform (benannt nach dem Tanz, den die Honigbienen ausführen, um den Mitgliedern ihres Bienenstocks den Standort der Nahrungsquellen mitzuteilen). Sie erhalten zudem Unterstützung von wichtigen Technologieunternehmen, wie Microsoft, Cisco, Intel, Schneider Electric und Motorola Solutions. Das Verkehrsministerium von Chicago ist verantwortlich für die Installation der Knotenpunkte an Laternenpfählen in der ganzen Stadt und die Verwaltung des Datenportals, worüber die AoT-Daten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Ministerium für Innovation und Technologie verwaltet ein Datenportal, über das die verfügbaren AoT-Daten mit anderen Daten aus Chicago integriert werden, damit diese von der Öffentlichkeit genutzt werden können.
Einige der ersten Knotenpunkte wurden im Chicagoer Stadtteil Pilsen installiert, wo Asthma verstärkt verbreitet ist. Hier hat eine Gesundheitsklinik vor Ort die Erhebung von Daten gefordert. Private Unternehmen und gemeinnützige Organisationen beabsichtigen, die Daten für die Entwicklung innovativer Anwendungen zu nutzen, z. B. für eine mobile App, mit der die Anwohner die Belastung durch bestimmte Schadstoffe in der Luft verfolgen oder durch die Stadt navigieren und dabei Stadtviertel mit übermäßigem Verkehrsaufkommen und Lärm meiden oder eine Strecke wählen können, die durch viele Grünflächen führt. Im Jahr 2018 wurde im Rahmen des Projekts eine API für den Datenzugriff sowie Tutorials und Dokumentationen veröffentlicht. Entwickler können diese nutzen, um die von AoT in nahezu Echtzeit gesammelten Daten in ihre Anwendungen zu integrieren. Die Stadt plant, die Daten mit anderen öffentlichen Datensätzen zu integrieren und die Schnittstelle für verschiedene Zielgruppen, von Wissenschaftlern über App-Entwickler bis hin zur allgemeinen Öffentlichkeit, zugänglich zu machen und zu optimieren.
Es wurden bislang über 100 AoT-Knoten installiert. Bis Ende Sommer 2019 war geplant, die Gesamtzahl auf 200 zu erhöhen. Die Projektleiter haben Treffen und Workshops organisiert, bei denen Beziehungen zu den Einwohnern aufgebaut und die Prioritäten der Gemeinden ermittelt wurden, die sich von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Zudem können Anwohner und Gemeindegruppen über die Projektwebsite beantragen, dass Knotenpunkte an einem bestimmten Ort installiert werden.